Mutterkorn

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Das Mutterkorn (Secale cornutum) ist eine längliche, kornähnliche und bis zu vier (bis sechs) Zentimeter lange Dauerform (Sklerotium) des Mutterkornpilzes (Claviceps purpurea), einer Schlauchpilz-Art, die aus den Ähren von Getreide herauswachsen kann. Für Mensch und Tier stellt der Befall der Blüten von Nahrungs- und Futtergetreide mit Mutterkorn ein Problem dar, denn die in diesem Pilz enthaltenen über 80 Alkaloide und Farbstoffe weisen eine hohe Giftigkeit auf. In geringer Dosierung kann Mutterkorn auch als Heilmittel wirken. Besonders häufig betroffenes Nahrungsgetreide ist Roggen, aber auch die als Viehfutter genutzten Getreide Triticale, Weizen, Gerste, Hafer und Dinkel. Über 400 Gräser insgesamt sind befallgefährdet; auch das an der Nordseeküste vorkommende Salz-Schlickgras (Spartina anglica).

In der Vergangenheit traten auf Mutterkorn zurückgehende Massenvergiftungen – Antoniusfeuer genannt – oft als Begleiterscheinungen von Hungersnöten auf, wenn große Teile der ärmeren Bevölkerung zum Verzehr ungereinigten, vom Felde aufgelesenen Getreides gezwungen waren. Auch sonst waren die Armen des Mittelalters und der frühen Neuzeit eher von solchen Vergiftungen durch das Mutterkorn betroffen, da sie meist das billigere, aus kaum gereinigten Korn hergestellte Brot verzehrten. Der Pilz breitete sich damals vielfach erst in den feuchten Kornspeichern aus, die einen idealen Nährboden für das Mutterkorn darstellten. Daneben besaß das Mutterkorn in der deutschen Volksmedizin ab dem Mittelalter lange eine Bedeutung als wehentreibendes und blutstillendes Mittel.

Der Chemiker Albert Hofmann stellte 1938 während seiner Forschungsarbeiten zum Mutterkorn mit der Zielsetzung, ein Kreislaufstimulans zu entwickeln, erstmals LSD her.

Von Ernst-Otto Pieper [1]

Mutterkorn. Foto: E.-O. Pieper

Aus reifenden Roggenähren sieht man hin und wieder bis 3 cm lange, hornförmige, harte, schwarz-braune Körner ragen. Es ist ein auf Gräsern, insbesondere Roggen parasitierender Schlauchpilz.

Diese schwarzen Körner sind Dauermycelien des Mutterkornpilzes Claviceps purpurea. Bei der Getreideernte fallen meist einige von ihnen zur Erde, wo sie zur Zeit der Roggenblüte mehrere gestielte, blassrote Fruchtkörper treiben. Im vergrößerten Längsschnitt erkennt man zahlreiche becherförmige Vertiefungen und in diesen ein Bündel Sporenschläuche. Jeder Schlauch enthält acht fadenförmige Sporen: Frühjahrs- oder Schlauchsporen (Endosporen). Nach dem Freiwerden gelangen manche durch den Wind auf Fruchtknoten blühenden Getreides oder sonstiger Gräser und wachsen in diesen auf Kosten des Kornes zu Pilzlagern heran. Die befallenen Blüten werden auffallenderweise von Bienen besucht. Das Mycel schnürt nämlich eine große Zahl winziger Sommersporen (Exosporen) ab. Diese fließen in einem ausgeschiedenen Flüssigkeitstropfen („Honigtau“) zusammen. Insekten, die diesen Saft saugen, übertragen solche Sporen auf andere Ähren. Da die Sporen dort sofort keimen, verbreitet sich der Pilz sehr rasch. Sind die Nährstoffe des Korns verbraucht, so legen sich die Pilzfäden fest aufeinander und verflechten sich zu dem harten Mutterkorn. Mit diesem Dauermycel übersteht der Pilz den Winter und erzeugt im Frühjahr wieder Schlauchsporen. Der Mutterkornpilz bildet also zweierlei Sporen: freie Sommersporen (Exosporen) und Schlauch- oder Frühjahrssporen (Endosporen).

Der Pilz tritt vermehrt in feuchten Jahren auf. Durch den Einsatz von Fungiziden ist die Verbreitung des Mutterkorns stark zurück gegangen.

Mit Mutterkorn verunreinigtes Getreide führte im Mittelalter zu epidemisch auftretenden Vergiftungen (Kriebelkrankheit, Krampfseuche, Konvulsischer Ergotismus). Durch auftretende Krämpfe verblieben die Gliedmaßen oft in abnormer Stellung. Bei einer anderen Form, die insbesondere in Frankreich auftrat (Sankt-Antonius-Feuer, Brandseuche, Gangränöser Ergotismus), wurden die peripheren Blutgefäße geschädigt und die betroffenen, blau-schwarz mumifizierten Körperteile starben ab. In dem Gemälde »Der Kampf zwischen Karneval und Fasten« von Pieter Bruegel dem Älteren (Kunsthistorisches Museum Wien) sind in einer Marktplatzszene auch an Ergotismus erkrankte Personen dargestellt. Heutzutage finden die Alkaloide des Mutterkorns in der Medizin Verwendung. Die Nützlichkeit des Einsatzes von Ergometrin als wehenförderndes Mittel steht dabei außer Frage; die Verwendung von Ergotamin als Migränemittel hingegen, ist sehr umstritten und entspricht nicht mehr dem aktuellen medizinischen Kenntnisstand. Das Rauschmittel Lysergsäurediethylamid (LSD) wurde erstmals von Albert Hofmann aus Mutterkornalkaloiden synthetisiert.

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